Freitag, 28. April 2017

Eine Chronik (39)


Wäre es nicht langsam an der Zeit, meinem inneren Mitbewohner, meinem neuen Gefährten, dem Tumor einen Namen zu geben? Nun, nachdem wir seit gut einem Jahr miteinander bekannt sind. Nun, ich weiß von ihm. Ob er auch von mir, das hat er, der Scheißkrebs, mir bislang nicht verraten, der Feigling.

Eine Frage, auf die man kommt, wenn man zu viel Esterházy liest, sich zu lange in sein „Bauchspeicheldrüsentagebuch“ verkriecht, wo der Krebs mal als Fräulein vorgestellt, mal wie eine Geliebte gehätschelt, dann wieder verflucht wird, wo der Autor es hemmungslos mit ihr treibt, sie zum Teufel wünscht, sie ihn langweilt, er sie als seine kleine Sonne, als liebes Licht anspricht, als Süße und Teure, die ihn am liebsten verzehren, aufessen, auffressen, ihn sich einverleiben, ihn vernichten würde.

Kleine Biere trinkt man zu Oliven. Doch hier werden einem weder kleine noch große Biere und auch keine Oliven serviert. Hier kommt während der Anwesenheit des Patienten ja nicht einmal jemand zum Sauber- oder sonstigen Machen. Nur gestern sah ich einmal kurz, als die Schiebetür einen Spalt breit offenstand, eine kleine, ältere Türkin mit Kopftuch und Wischmopp über den Flur huschen, grußlos. Kurz darauf klopfte ich mein Bettzeug halt selber auf und zog das Laken glatt.

Auf den Spuren Esterházys ist nun der Moment gekommen, da ich verraten muss, dass verschiedene Leute mir gegenüber in letzter Zeit ziemlich emotional geworden sind. Was ich in den meisten Fällen nicht ausstehen kann. Weshalb ich ja auch diesen Blog verfasse und an die Öffentlichkeit bringe, damit die Krebsstory nicht wieder und wieder von neuem erzählt werden muss, sondern ich mich darauf beschränken kann, einfach die Blog-Adresse durchzugeben und alles Weitere einfach geschehen zu lassen. Sonderfragen können danach immer noch individuell beantwortet werden, falls Bedarf besteht. Und zur Abwechslung könnte ich eine Weile barfuß herumlaufen, nun, da der Frühling … Frühling! Minus fünf Grad nachts, maximal vier Grad am Tag. Ehrlich, ich scheiß auf diesen Frühling, boah ey, echt Mann, Alter!

17:00 Uhr, neueste Messungen: 126-86-84; Körpertemperatur: 36,4. Schwester Rita ist sehr zufrieden.

Anschließend esse ich eine meiner mitgebrachten Mandarinen. Oder zwei. Und ein paar Manner-Schnitten, Original Neapolitaner, in Erinnerung an Herrn Carl Manner aus Wien, den ehemaligen Firmenvorstand und Aufsichtsratsvorsitzenden des Unternehmens, der, wie heute Morgen in der Zeitung zu lesen war, kürzlich mit 87 Jahren verstorben ist, nachdem er immer noch täglich an seinem Schreibtisch gesessen hatte, bis zum letzten Atemzug.

Die Manner-Waffeln kenne ich noch aus meiner Universitätszeit in Salzburg. Sie waren mir gewissermaßen ein studentisches Grundnahrungsmittel. Aber seither hat sich ihr Geschmack, so kommt es mir vor, wesentlich verändert, ja, verschlechtert. Früher schmeckten sie besonders, unvergleichlich, heute haben sie sich dem Geschmack vieler vergleichbarer Knuspereien angepasst. Nur die rosa Verpackung ist geblieben und löst nostalgische Gefühle aus.   

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen