Und hier der besagte Text von
Charlotte Wirth, in d’Lëtzebuerger Land Nr. 40, 6. Oktober 2017:
Luxemburgensia: „Muss weiterschreiben, weitermachen“
„Wie verändert die Krankheit den
Blick auf sich selbst? Und den der anderen? Und den auf die anderen?“, fragt
Georges Hausemer, fast nebensächlich, in einem kurzen Eintrag seines Blogs Ich
und mein Tumor. Dabei steht diese Frage nicht nur im Zentrum von Hausemers ganz
persönlichen und intimen Aufzeichnungen – Auszüge und Eindrücke seines Lebens
nach der Diagnose Krebs –, sondern charakterisiert vielmehr das Genre der
Krankheitserzählungen (illness narratives) im Allgemeinen. Ob Paul Kalanithis
Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit im Bestseller When breath
becomes air oder Nancys philosophische Abhandlung seiner Herztransplantation,
L’Intrus: All jene Werke, die sich mit der eigenen Krankheit oder Sterblichkeit
befassen, erzählen vom Suchen (und Finden?) der eigenen Identität, die durch
die Krankheit radikal in Frage gestellt wird. Wer bin ich, wenn meine Krankheit
das vereinnahmt, was mich ausmacht? Ist die Krankheit ein Teil von mir oder ein
Eindringling?
Auch in Georges Hausemers
Tumorblog werden diese Fragen immer wieder, mal direkter, mal indirekter,
gestellt. Zwar macht der Schriftsteller wiederholt deutlich, sein Tumor möge
zwar ein Teil seines Lebens sein, dieses sei jedoch nicht auf den Tumor
reduzierbar, doch lässt sich die Krankheit nicht ausklammern. Arztbesuche,
Blutabnahmen und regelmäßige Spritzen werden zur Routine und Hausemer ein alter
Bekannter in der radiologischen Abteilung (dem „Bunker“, wie Hausemer ihn
nennt), der nach und nach herausfindet, wie der Krankenhaushase läuft.
Vor allem aber das Sammeln und
Aufzeichnen von schier endlosen Werten scheint den Schriftsteller nicht
loszulassen: Blutdruck, Kreislauf, Temperatur ... immer wieder wird der Text
von solchen Zahlen durchbrochen. Zahlen, die auf die Kluft zwischen Person und Patient
hindeuten. Im Krankenhaus zählen weder Persönlichkeit, Lebenserfahrung, noch
Interessen. Hier ist man nicht Schriftsteller oder Reisender, hier ist man
Patient. Man wird untersucht, gemessen und gibt die Kontrolle über seinen
Körper ab. An Ärzte und Schwestern, von denen Symptome und Diagnosen in
unverständlichem Kauderwelsch diskutiert werden.
Hausemer selbst versucht sich
unterdessen fortwährend von seinem Tumor zu distanzieren. Die Kluft zwischen
Georges Hausemer, dem Menschen, dem Schriftsteller, und Georges Hausemer, dem
Krebspatienten, besteht demnach nicht nur in der Sphäre des Krankenhauses,
sondern zerreißt auch den Autor. So schreibt er von sich in der dritten Person,
sobald es um den Krebs geht („der Patient“), wiederholt wie in Trance die zungenverdrehenden
Namen von Medikamenten und Diagnosen und zählt lieber auf, was um ihn herum
passiert, als in ihm. Oft hat der Leser den Eindruck, dass Hausemer sich auf
alles konzentriert, mit Ausnahme seiner Krankheit. Und doch, so weit er auch
reist, so sehr er ihr auch zu entkommen versucht, sie holt ihn immer wieder
ein. Eine Erkältung wird zum Alarmzeichen, Muskelkater zum düsteren Vorboten.
„Kein Tag ohne bange Fragen, sogar die unkomplizierten, die leichteren.“
Inmitten dieser Erfahrungen muss
die Frage nach dem eigenen Ich neu gestellt werden. Bei Georges Hausemer
geschieht dies auf eine sehr subtile Weise. Sein Weg mit der Krankheit
umzugehen ist die der stillen Rebellion, die sich ganz um seine Existenz als
Reisender und Schriftsteller, oder reisender Schriftsteller, dreht. „Du kannst
mir das Leben schwermachen, doch du kannst mir die Freuden, die mich ausmachen,
nicht vermiesen“, scheint er seinem Tumor trotzig entgegenzurufen. In der Tat
sind Lesestoff und Notizbuch immer griffbereit – auch im Bunker. Für „ein paar
flüchtige Notizen“ ist immer Zeit, zwischen Blutabnahme, CT oder Radiotherapie.
„Muss weiterscheiben, weitermachen“, notiert Hausemer. Das Schreiben ist wie
ein Anker inmitten der fragmentierten Existenz und es scheint nebensächlich, worüber
Hausemer schreibt. Sein Blog ist kein Tagebuch, eher eine Aneinanderreihung
flüchtiger Eindrücke. Literaturtipps und -kritiken wechseln sich mit
Beschreibungen flüchtiger Begegnungen im Klinikaufzug oder Eindrücken von
Hausemers letzten Reisen ab. Denn auch das Reisen lässt sich der Autor nicht
nehmen. Genauso wenig wie das Verschlingen, Genießen und Zitieren aus
literarischen Werken. Schreiben. Reisen. Menschsein. Das Leben ist zwar ein
Leben mit Tumor, besteht aber nicht aus dem Tumor, geht klar aus Ich und mein
Tumor hervor. „War in der Oper, las in der Sonne, lag am Strand, habe mich von
Kamelen anhauchen lassen, neues Handy bekommen.“ Zwar verändert ihn die
Krankheit, und Hausemer zeigt sich erstaunt darüber, wie viele Dinge ihn nicht
mehr interessieren, doch das Wesentliche verändert sich nicht. Dem Tumor
entgegensehen, „… während ich schreibe – und lese, lebe“, ist Hausemers Credo.
Es drängt sich die Frage auf, für
wen, dieser Blog? Wenn es eine Schreibübung zur Verarbeitung der Diagnose ist,
wieso dann in Blogform? Wieso öffentlich? Klar ist, diese Art des Schreibens
kommt dem Autor zugute, ist die Aufzeichnung von Impressionen und Eindrücken
doch eine Stärke des Schriftstellers. Das Schreiben über die eigene Krankheit
ist indes ein mutiger Schritt, insbesondere in einer Gesellschaft, in der
Krankheit und Sterben marginalisiert und wenig thematisiert werden. Die eigenen
Erfahrungen zu teilen, kann nicht nur anderen Mut machen, sondern zeigt auch,
dass man damit nicht allein ist. Wichtig ist in diesem Kontext, dass Hausemer
kein „triumph narrative“ vorlegt. Es geht nicht darum zu zeigen, wie man die
Krankheit besiegt, genauso wenig, wie es darum geht, sich selbst zu
bemitleiden. Es geht vielmehr darum, zu vermitteln, dass das Kranksein zum
Leben dazugehört. Ich und mein Tumor, ich mit meinem Tumor, Ich trotz meines
Tumors, so die Nachricht an die Leser.
Georges Hausemer: Ich und mein Tumor:
http://ghausemer.blogspot.com/