„Unser Sohn ist drei Jahre alt. Wir gingen mit ihm in
ein Kunstmuseum, wo wir durch die Säle spazierten und auf den Bildern der
großen Meister Hunde, Katzen, Vögel und Pferde suchten. Auf einem Bild war die
schwangere Jungfrau Maria dargestellt. Unser Sohn fragte, warum sie einen so
großen Bauch habe. Ich sagte, sie habe ein kleines Kind darin, das bald geboren
werde. Wir setzten unseren Rundgang fort. Ein paar Säle weiter lief unser Sohn
wieder zurück – um nachzusehen, ob das Kind schon geboren war.“
Diese Passage hätte ich gerne selber geschrieben. Doch
ich habe sie nur gelesen. In einem Zeitungsbeitrag des russischen, seit 1995 in
der Schweiz lebenden Schriftstellers Michail Schischkin über die Freiheit des
Wortes und der Menschen. Überdies haben wir gar keine Kinder, über die ich
schreiben könnte. Und auch keinerlei Erfahrung mit sowjetischen Panzern, dem
KGB und Straflagern, in denen Männer, die vor dem Kreml Mahnwachen abhielten,
um gegen den Ukraine-Krieg zu protestieren, systematisch gefoltert werden.
Stattdessen – stattdessen? – habe ich seit Anfang
dieses Jahres wieder ein paar Gedichte geschrieben. Über chinesischen Kohl
beispielsweise, über Souvenirs aus Marokko und über das Eden Palast in Aachen.
Ein anderes trägt den Titel „Winterliches Gedicht“ und geht so: Dieses Gedicht / braucht mich nicht. / Ihm genügen / ein paar Schaufeln Schnee, /
eine prächtige Schicht Eis, / ein
dick vermummter Mann, / der den
festen Boden / unter seinen Stiefeln
verliert. / Einen Wimpernschlag lang
/ liegt er waagerecht in der Luft / und spuckt am Ende, hart aufgekommen,
/ sein Herz aus. // Ich hingegen lebe noch, / wenn auch
fröstelnd und / mit gefrorenem Bart. // Hier und jetzt aber / kann gut und gern auf mich / verzichtet werden.