Anruf des Bruders, der sonst so gut wie nie anruft.
Er habe eine gute Nachricht für mich. So lerne ich die wahren Fähigkeiten des
Sanddorn-Ursafts und der Goldenen Milch kennen. Seit Wochen, erklärt C., sei er
täglich stundenlang im Internet unterwegs, um nach neuen Wegen zu gesunder
Ernährung und Heilungsmöglichkeiten für meinen Krebs zu suchen. Er klingt
glaubhaft. Ich rate ihm, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Er legt mir einen
Österreicher namens Robert Franz ans Herz, mit dessen Ansichten und Theorien
man sich auf Youtube vertraut machen könne.
Tage später befolge ich C.s Rat. Herr Franz redet
so schnell und undeutlich, dass man ihn kaum verstehen kann. In einem der
Filmchen trägt er lila Kleidung und hat sich auch seine lockige Haarpracht lila
gefärbt. Das trägt nicht dazu bei, dass ich ihm und seinen Aussagen sonderlich
viel Vertrauen schenke. Aber mein Bruder ist völlig überzeugt. Er und N., seine
Frau, planen sogar, dem – angeblich – in oder bei München lebenden Mann in
Kürze einen Besuch abzustatten. Ob ich nicht Lust hätte, sie zu begleiten.
Seit ein paar Tagen ist das morgendliche
Übelkeitsgefühl weg. Nach dem zweiten Therapiezyklus hatte es etwa zwei Wochen
lang pünktlich nach dem Aufwachen eingesetzt und mich eine Weile in den Tag
hinein begleitet. Später kamen noch gelegentliche Halsschmerzen hinzu, ein
dumpfer Druck auf die Speiseröhre, der mir Angst machte. Inzwischen bin ich in
dieser Hinsicht wieder beschwerdefrei. Nur die Muskeln und Gelenke schmerzen.
Aber das kommt von den Übungen im Fitnessstudio, das S. und ich immer noch
regelmäßig besuchen. Jüngst hat der zweite Übungszyklus begonnen, Ralf hat ein
etwas anspruchsvolleres Programm für uns zusammengestellt. Statt 30 drücke ich
nun 40 Kilo, statt mit bewältige ich die Beinpresse nun ohne Unterstützung der
Unterschenkel, statt zu rudern stärken wir Rücken, Nacken und Oberkörper in
Zukunft mit Disziplinen, die sich euphemistisch „Butterfly“ und, schlimmer
noch, „Butterfly reverse“ nennen.
S. hält gar nichts von diesem Schmetterlingsgehabe;
ich genieße es, wenn der Brustkorb sich dehnt und die Schulterblätter zum Leben
erweckt werden.
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