Düsterer Frühmorgen im Dezember. Wenigstens ist es weder kalt noch feucht und ein freier Parkplatz um diese Tageszeit leicht zu finden. Stattdessen die nächste unangenehme Überraschung an der Rezeption der Abteilung für Nuklearmedizin. Heute steht nicht nur, wie eigentlich vereinbart, ein locker hingeplaudertes Vorgespräch an, sondern eine ausführliche Nierenszintigrafie. Dauer: fünf bis sechs Stunden.
Als erstes wird Punkt neun Uhr „dieses radioaktive Zeug“, wie Dr. M es nennt, durch den Zugang im linken Arm gespritzt, dann Blut aus dem Zugang rechts gezapft. Eine Stunde später die nächste Blutentnahme. Zwischendurch darf der Patient mit verbundenen Armbeugen herumspazieren, sich in die Cafeteria setzen, ein Heißgetränk zu sich nehmen, Zeitung lesen, bei Bedarf ein paar neue Blognotizen niederkritzeln.
Elf Uhr: drittes Abzapfen. Ist in weniger als einer Minute passiert. Darf erneut im Warteraum Platz nehmen, mir einen Becher Wasser aus dem Spender genehmigen, den nächsten Zeitungsartikel lesen, mir noch eine Blogzeile ausdenken, während die Nieren ihre gewohnte Arbeit tun und zeigen sollen, dass sie die Behandlung, die nächste Woche angesetzt ist, problemlos wegstecken werden.
Bitte, liebe Nieren, lasst mich nicht im Stich!
Weitere Kunden der Nuklearabteilung kommen und gehen. Neulinge erkennt man an ihren zuckenden, verwirrten Blicken, ihrem Zögern, wenn sie da oder dort eintreten, da oder dort Platz nehmen sollen. Es kommt vor, dass jüngere Frauen unter den Novizen gerötete Augen haben oder sich rasch, damit es möglichst beiläufig wirkt, eine Träne von der Backe wischen. Routinierte Patienten hingegen verraten sich durch ihre Zielstrebigkeit, die Klarheit ihrer Gesten und Bewegungen. Sie wissen, dass sie die Schalter mit der Aufschrift „Türöffner“ drücken müssen, damit die Türen sich öffnen, sofern sie nicht gerade vor eine Tür kommen, die sich von selbst öffnet, wenn jemand sich ihr nähert.
Zwölf Uhr: vierte Blutprobe. Während des Wartens wird die Lektüre der Patienteninformationen empfohlen. Anschließend darf man sich einverstanden erklären oder seine Unterschrift verweigern.
Dreizehn Uhr: fünfte und letzte Entnahme. Danach geht es sofort auf den fahrbaren Tisch mit der unter der Tischplatte angebrachten Gammakamera. „Bitte nicht mehr bewegen!“ Eine neue Flüssigkeit wird in den Katheter gespritzt, diesmal rechts. Die muss sich verteilen, in die Nieren hinein und wieder aus den Nieren hinaus fließen.
Eine halbe Stunde dauert die Prozedur. Die Kamera zeichnet alles auf. Wenn kein deutliches Bild entsteht, muss die Sache wiederholt werden. Noch einmal zwanzig Minuten.
Für einmal habe ich Glück. Das Resultat ist eindeutig, schon nach dem ersten Durchgang: Die Nieren funktionieren bestens. Der dreitägigen Quarantäne steht im Prinzip nichts mehr im Weg. Ich erfahre, was ich in meiner kleinen Reisetasche alles mitbringen soll. Sogar eine Flasche Wein wird erlaubt, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand. Vorab darf ich sogar schon den Speisezettel ausfüllen und soll angeben, was ich am kommenden Mittwoch, Donnerstag und Freitag in meinem mit Stahltüren gesicherten Zimmer essen will. Eine Dusche gibt es dort übrigens nicht.
Inzwischen wurde der Übersichtsplan im Flur der nuklearmedizinischen Abteilung gegen einen klareren ausgetauscht. In Kürze werde ich also Gelegenheit haben, dessen Effizienz zu testen. Radiopeptidtherapie mit 177Lu DOTATOC heißt der neue Hoffnungsstrick. Und draußen die Wintersonne.
Montag, 19. Dezember 2016
Sonntag, 18. Dezember 2016
Eine Chronik (22)
Zwischendurch tatsächliche Distanz, wenn auch nur räumlich, geografisch sozusagen. Zehn Tage Auszeit in Marokko. Meer, Sonne, Wärme, Lesen, Flanieren, Notieren – Abschalten. So gut es eben geht. Mein Tumor, der unerwünschte Gast, ist mit dabei, macht aber natürlich keinen Urlaub, auch wenn er sich in diesen Tagen diskret zeigt, sich freundlicherweise zurückhält. So wie er sich, seit er sich an meine Fersen geheftet hat, bislang ja eigentlich die meiste Zeit als relativ friedfertig erwiesen hat.
Farid, dem Arganölverkäufer, Abdul, dem Halsabschneider im langen Gewand des Souvenirhändlers, der attraktiven Soukaina, die mit ihrer Mutter und ihrer Tante ein Wochenende im 5-Sterne-Hotel verbringt, Abderrahman, dem Friseur, Amin, dem Wachsoldaten am unter Palmen versteckten Königspalast in Agadir, Hasma, der Managerin der Frauenkooperative in Taghazout, Aziz, dem Golflehrer, Isabelle, der rechten Hand des Hoteldirektors, Karim, dem Berber, Marouane, dem Hilfskellner, Noura, der Oberkellnerin, Hamid, dem Minibusfahrer, Lisbeth, der Mutter der niederländischen Fix-und Foxi-Zwillinge … – ihnen allen brauche ich nicht mit meinem ebenso unsichtbaren wie hartnäckigen Begleiter zu kommen. Sie alle haben eigene Sorgen – Amin etwa wird von Krampfadern und Rückenproblemen vom stundenlangen Herumstehen geplagt –, von denen sie mir auch nichts erzählen. So kommen wir gut miteinander aus, schenken uns gegenseitig ein paar freundliche Worte und sanftes Lächeln. Nur mit dem Drive, dem Putten, dem Swing und dem Bunkerschlag, da tue ich mich noch schwer. Kein Wunder. Nach fünf ersten Übungsstunden war auch Tiger Woods wahrscheinlich nicht der Tiger Woods, zu dem er nach mehreren hunderttausend späteren Schlägen heranreifte.
Farid, dem Arganölverkäufer, Abdul, dem Halsabschneider im langen Gewand des Souvenirhändlers, der attraktiven Soukaina, die mit ihrer Mutter und ihrer Tante ein Wochenende im 5-Sterne-Hotel verbringt, Abderrahman, dem Friseur, Amin, dem Wachsoldaten am unter Palmen versteckten Königspalast in Agadir, Hasma, der Managerin der Frauenkooperative in Taghazout, Aziz, dem Golflehrer, Isabelle, der rechten Hand des Hoteldirektors, Karim, dem Berber, Marouane, dem Hilfskellner, Noura, der Oberkellnerin, Hamid, dem Minibusfahrer, Lisbeth, der Mutter der niederländischen Fix-und Foxi-Zwillinge … – ihnen allen brauche ich nicht mit meinem ebenso unsichtbaren wie hartnäckigen Begleiter zu kommen. Sie alle haben eigene Sorgen – Amin etwa wird von Krampfadern und Rückenproblemen vom stundenlangen Herumstehen geplagt –, von denen sie mir auch nichts erzählen. So kommen wir gut miteinander aus, schenken uns gegenseitig ein paar freundliche Worte und sanftes Lächeln. Nur mit dem Drive, dem Putten, dem Swing und dem Bunkerschlag, da tue ich mich noch schwer. Kein Wunder. Nach fünf ersten Übungsstunden war auch Tiger Woods wahrscheinlich nicht der Tiger Woods, zu dem er nach mehreren hunderttausend späteren Schlägen heranreifte.
Eine Chronik (21)
Die Lungen glitzern, die Leber leuchtet! Das wenig erfreuliche Resultat des letzten Pet Scans vor vier Wochen. Die Somatuline-Spritze hat demnach nicht gewirkt, die erste Light-Therapie nicht angeschlagen. Was nun?
Tage später Gespräch mit Dr. K. Sie erklärt die weiteren Alternativen, die nächsten Schritte.
Keine Lust, gleich wieder etwas zu notieren. Schiebe den nächsten Blogeintrag vor mir her, einen ganzen Monat lang. Fühle mich für ein paar Momente gar nicht betroffen, betrachte die Angelegenheit wie ein Außenstehender, völlig neutral und unbeteiligt. Aber die trügerische Distanz ist natürlich nicht von Dauer. Stets kommt die Einsicht, dass „es“ mich tatsächlich etwas angeht, mit Blitzgeschwindigkeit zurück.
Bevor wir nach dem letzten Röhrengeschiebe gegangen waren, hatte ich den Übersichtsplan im Flur der nuklearmedizinischen Abteilung fotografiert. Alles klar?
Tage später Gespräch mit Dr. K. Sie erklärt die weiteren Alternativen, die nächsten Schritte.
Keine Lust, gleich wieder etwas zu notieren. Schiebe den nächsten Blogeintrag vor mir her, einen ganzen Monat lang. Fühle mich für ein paar Momente gar nicht betroffen, betrachte die Angelegenheit wie ein Außenstehender, völlig neutral und unbeteiligt. Aber die trügerische Distanz ist natürlich nicht von Dauer. Stets kommt die Einsicht, dass „es“ mich tatsächlich etwas angeht, mit Blitzgeschwindigkeit zurück.
Bevor wir nach dem letzten Röhrengeschiebe gegangen waren, hatte ich den Übersichtsplan im Flur der nuklearmedizinischen Abteilung fotografiert. Alles klar?
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