Dienstag, 10. Oktober 2017

Eine Chronik (55)

Gestern war Montag. Die Sonne schien, als wir von zuhause wegfuhren. Kurz nach zwölf sollte mir ein Zugang gelegt werden. Das war nicht einfach, wie nie. Schwester R. gab sich ernsthaft Mühe. Sie haben feine Venen, sagte sie. Leider liegen sie so tief, dass man sie kaum erkennen kann. Beim ersten Versuch im rechten Arm ließ sich die dicke Nadel nicht weit genug einführen. Wenn ich forciere, droht die Gefahr, ein Loch in die Venenwand zu stechen, sagte Schwester R. Der zweite Versuch, im linken Arm, klappte. Ich durfte wieder im Wartebereich Platz nehmen. Zum Glück hatten wir reichlich Zeitungen eingepackt, teilweise schon mehrere Tage alt.

Gegen zwei kam ich in die Röhre. Bitte alle Metallteile ablegen, sagte vorher die junge Angestellte. Tragen Sie ein Gebiss? Ohne Hemd und mit bis unter die Knie herabgelassener Hose lag ich auf dem schmalen Gleittisch, zugedeckt mit zwei Tüchern dünn wie Papier. Jetzt fangen wir an, sagte die Frau. Vierzig Minuten lang schob die Bahre mich hin und her. Tief einatmen, Luft anhalten, jetzt normal weiteratmen, sagte eine Männerstimme vom Band. Erst lagen zwischen ihrem zweiten und ihrem dritten Satz zehn Sekunden, dann zwanzig, schließlich fast eine Minute. So lange konnte ich noch nie tauchen, auch als Kind nicht. Alles in Ordnung?, fragte die Junge über Lautsprecher, bevor sie mir eine Flüssigkeit durch den Zugang in den Körper drückte, von der mir ganz heiß wurde. Hm, brummte ich.

Kurz vor drei darf ich zurück in die Umkleidekabine. Etwas später kommen Frau Dr. K und Univ.-Prof. Dr. med. M. mit den guten Nachrichten. Alles stabil, sagt der Professor mit ernster Miene. Stellenweise haben sich die Metastasen sogar zurückgebildet oder sind gänzlich verschwunden, sagt der Professor nüchtern. Das ist momentan das beste Resultat, das wir uns mit Ihnen zusammen wünschen können, sagt der Professor mit einem Lächeln. Um eine weitere positive Entwicklung Ihrer Situation zu gewährleisten, schlagen wir eine fünfte und sechste Therapiesitzung vor.

Mit Frau Dr. K. werden die nächsten Termine vereinbart. November: zunächst die übliche Nierenszintigraphie, in der Woche danach drei Tage Bunker. Gegen halb vier verlassen wir das Klinikum und fahren ins Stadtzentrum. In einem orientalischen Restaurant essen wir zu Mittag, S. gebackene Aubergine mit Hackfleisch und Tomatensauce, ich Köfte Ekmek. Wir sind so froh. Gegen halb sieben sind wir wieder zuhause. Wir sind so froh, dass uns die Tränen kommen.

 

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