Heute kein Frühstück. Letzter Tropfen Flüssigkeit um
Mitternacht. Muss nüchtern sein, in allen Hinsichten. Kurz nach acht kommt
Pfleger S., ich soll mich waschen, Zähne putzen, mich bereithalten, ja, im
Schlafanzug, das sei perfekt. Nein, er weiß nicht, wann die Reihe an mir sein
wird, aber wir haben, behauptet er, derzeit eine Menge Arbeit.
Tue, wie mir befohlen. Setze mich, im Pyjama, auf das
neue, vollelektrische Bett und … warte. Warte, lese Zeitung und … warte. Warte,
mache ein paar Notizen, warte. Warte, starre auf die Mineralwasserflasche und …
warte. Starre auf den Zugang auf meinem rechten Handrücken und … warte. Irgendwann
kommt die Putzfrau. Sie sind derzeit der einzige Patient auf der Station,
verrät sie, was mich wundert, nach allem, was Pfleger S. mich am Morgen wissen
ließ. Ich bekomme hier auch oft komische Antworten, sagt die Putzfrau,
kopfschüttelnd. Nach dem Staubwischen und feuchten Aufnehmen geht sie wieder.
Ich warte weiter. Stoße bei der Lektüre auf den Begriff
Tivolikugel. Frage mich, was eine Tivolikugel wohl sein mag, bin aber zu träge,
um mich mittels Smartphone auf die Suche zu machen. Stattdessen: Warten! Kurz
vor elf bin ich überzeugt, dass kurz nach elf etwas passieren wird. Allmählich
wird mir kalt, in meinem dünnen Schlafanzug. Ziehe mir die Daunenjacke über und
… warte. Bald sind sämtliche Zeitungen ausgelesen. Wegen des Katheters in und
des Verbands an der rechten Hand fällt das Schreibstifthalten mir schwer.
Um zwölf passiert immer noch nichts. Stille auf dem Flur,
auch von draußen, wo nur ein paar Tauben fröstelnd in den noch kahlen Bäumen hocken
und gurren, gurren, gurren. Und das leise Surren des Kühlschranks, in dem ein
paar Flaschen Saft, Obst, ein Stück Marzipan verstaut sind. Aber ich muss ja
nüchtern bleiben.
Kurz nach 13 Uhr kommen zwei Krankenschwestern, die ich
nie zuvor gesehen haben. Ich soll mich in mein Bett legen, mir die Decke bis
unters Kinn ziehen, es sei kalt auf den Fluren, zugig. Sie bringen mich zur
Lungenspiegelung. Frau Dr. O. erwartet mich bereits und begrüßt mich per
Handschlag. Es ist ungewohnt, jemandem beim ersten Mal im Liegen gegenüberzu…
na ja … treten. Gleich verabreichen wir Ihnen eine Ladung Propofol, und
Sekunden später träumen Sie von Sonne, Meer und leckeren Cocktails. Sediert
werden, denke ich und merke gerade noch, wie eine Spritze mit sahnefarbener
Flüssigkeit von oben in den Katheter in meiner rechten Hand geschoben wird. Ein
letzter Blick auf die Wanduhr. Es ist 13:20. Beim nächsten Blick an der Mauer
hoch ist es 13:45, Frau Dr. O. berührt sanft meine Wange und fragt, ob ich
bereits wieder da bin. Dann zeigt sie mir die Fotos, die sie soeben in meinem
Inneren gemacht hat. Nicht erschrecken, empfiehlt sie, von der roten Farbe auf
den Bildern müssen Sie sich achtzig Prozent wegdenken, dann wissen Sie
ungefähr, wie es da drinnen aussieht.
Apropos vollelektrisches Bett bzw. Stuhl: Für ihre
letalen Giftspritzen verwenden die amerikanischen Behörden bei der Exekution
zum Tode verurteilter Häftlinge ebenfalls Propofol, was der deutsche Hersteller
des Produkts mit Handelsbeschränkungen in den USA zu verhindern versucht.
Bisher nur mit bescheidenem Erfolg.
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