Donnerstag, 28. Dezember 2017

Eine Chronik (62)


Taghazout ist ein herrlicher Flecken. Im Hotel, das wir bereits letztes Jahr besuchten, werden wir fast schon wie Stammgäste umgarnt. Keinerlei Hektik, entspannter Betrieb, wolkenloser Himmel bei idealen Temperaturen um 24 Grad und eine Lektüre, die mich von den ersten Zeilen an tief ins Buch hineinzieht, so dass die rund 500 Seiten einen gar nicht abzuschrecken vermögen, ganz im Gegenteil. Heute, da das Werk ausgelesen ist, kann ich es ja sagen: Der neue Roman (oder sind es Erzählungen, wie die verwackelte Genrebezeichnung auf dem Buchcover ebenfalls suggeriert?) von Nico Helminger, „Kuerz Chronik vum Menn Malkowitsch …“, ist eine Wucht, mein Buch des Jahres 2017, all denjenigen unbedingt zu empfehlen, die etwas über den momentanen Zustand des Landes Luxemburg und der dort lebenden Menschen erfahren wollen, spannend, krude, passagenweise ein bisschen dick aufgetragen, aber stets politisch wunderbar inkorrekt, saftig und kraftvoll erotisch-pornografisch, ambitioniert, augenöffnend, alle literarischen Register der luxemburgischen Sprache ziehend, dennoch süffig zu lesen …
Am vierten Tag in Marokko allerdings die Ernüchterung: dieselben Symptome wie 14 Tage zuvor in Walferdingen. Allergische Reaktion (auf ein am Straßenrand, über offenem, mit Benzin angefachtem Feuer gegrilltes Hähnchen?) mit Erbrechen, Kopf- und Magenschmerzen, Schwellungen und Rötungen, rasende Herzschläge. Am späten Abend holt mich ein Wagen von SOS AMU am Hoteleingang ab. Mit Blaulicht und Sirene geht’s nach Agadir, in die Notaufnahme der Polyclinique Illigh. Ich kann Ihnen, lieber Leser, bestätigen: Marokkanisches Pflegepersonal ist mindestens so eifrig und bemüht wie westeuropäisches, aber die ganzen Maschinen und Apparaturen, die ihm zur Verfügung stehen, sind leider nicht auf dem neuesten Stand. Egal, all die Himas und Aischas, die Ahmeds und Mohammeds schafften es, mich binnen drei Tagen soweit wieder auf die Beine zu bringen, dass ein Jet der Air Rescue auf dem Al Massira-Flughafen landen, mich an Bord nehmen und kompetent nach Hause bringen konnte. Eigene Liege, Decken, Getränke und Essen nach Wunsch – der perfekte Bordservice, das reinste First Class-Erlebnis. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen lande ich in der hauptstädtischen Zithaklinik, man kennt mich dort, auf der Nuklearstation, schon. Auch die Prozedur ist die gleiche wie beim letzten Mal. Tropf an Tropf an Tropf. Und die Idee von Dr. W., dass die Beschwerden vielleicht doch als Nebenwirkungen der Radiopeptidtherapie einzuschätzen sind. Also verschreibt er mir Sandostatin 100-Spritzen, die ich mir von nun an zweimal täglich selbst subkutan verabreichen muss, zwecks Bekämpfung der Überproduktion bestimmter Hormone und ähnlicher körpereigener Stoffe im Magen, welche das natürliche hormonelle Gleichgewicht im Körper stören.
In den Tagen danach: viele Stunden Ruhe, ideal zum Lesen (etwa der wunderbaren Kurzgeschichten von Lucia Berlin), zum Musikhören (in endloser Schleife: Symphony No. 3 von Henryk Górecki) …    

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