Tut mir leid – nein, nicht
wirklich –, aber diesmal muss der blinde Passagier zuhause bleiben. Auf einem
Segelschiff sind ungebetene Gäste nicht geduldet, selbst wenn der Kutter vielsagend
Nirwana heißt. Sämtliche Kajüten sind belegt, Sessel gibt es sowieso keine, auf
den Holzbänken im Gemeinschaftsraum ist kein Platz für überzählige Esser und
Trinker, denn an den langen Tischen der Zeit, wie Paul Celan dichtete, „zechen
die Krüge Gottes“ und sonst niemand.
27 Mann hoch, darunter auch
etliche Damen, lassen sich kommod übers IJsselmeer schaukeln, mal sanft, mal
heftiger. Doch so ganz ohne eigenes Zutun geht das nicht. Ab und an müssen
Klüver, Fock, Besan und Großsegel gesetzt und auch wieder eingeholt werden. An
dicken Seilen ist zu ziehen, schwere Stoffbahnen müssen aus- und sorgfältig
wieder eingerollt werden, damit keine „schwangeren Elefanten“ entstehen. Und
auch um die Verpflegung der Teilnehmer sowie der Crew muss sich gekümmert werden,
wenn kein Smutje an Bord, der nächste Caterer seemeilenweit entfernt ist. Nicht
zu vergessen die Unterhaltung an sowie unter Deck, zu der jeder Gast sein
Bestes beitragen muss, und sei es, dass er ab und zu ein Liedchen anstimmt oder
beiläufig ein paar Grimassen schneidet.
Auf mehr oder weniger hoher See,
selbst beim Trockenfallen auf einer Sandbank im Wattenmeer werden die Wünsche
bescheidener, die Erwartungen geringer. Hauptsache, die Kleidung wärmt, der
Magen ist gefüllt, die Sonnencreme schützt und die Unterwäsche bleibt trocken. Nicht
einmal die diversen Pillchen und Tröpfchen in meinem Gepäck kommen zum Einsatz.
Nichts meldet sich, kein Druck auf der Brust, kein Ziehen im Rücken, kein
Zwicken im Magen. Für Stunden kommt kein noch so beiläufiger Gedanke an den
Daheimgelassenen auf. Alles konzentriert sich, wie ein immer enger werdender
Kreis, der irgendwann in der Mitte zu einem kaum noch sichtbaren Punkt
zusammenschrumpft, auf die Nirwana, ihre momentane Besatzung, die Kommandos der
Skipperin und der Matrosin, das erstaunliche Verhalten von Lobke, dem Bordhund.
Am Ende legt der Zweimastklipper
an drei Tagen 70 Seemeilen zurück, etwa 130 km, trotz anfänglicher Flaute und unberechenbaren
Windwetters zwischendurch. Nicht schlecht für maritime Dilettanten wie uns,
denen der Tod in diesen Tagen nur durch Ertrinken möglich scheint!
Nach der Rückkehr aus den
entspannten und entspannenden Niederlanden lese ich in Tomas Espedals
„Biografie, Tagebuch, Briefe“: „Es ist nicht schwer, über den Tod zu reden. Wir
reden unablässig über den Tod. Wir reden über den Garten und den Nachbarn, der
Tod ist da. Wir reden über unsere Eltern und Kinder, der Tod ist da, und wir
können nicht anders, wir vergessen und reden über all das Gute, das gewesen
ist, und der Tod war schon damals da, und egal, worüber wir reden, der Tod ist
in jedem einzelnen Wort und in jedem Atemzug und in dem kleinsten Bestandteil
von dem, was wir sind …“
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