Kurz nach acht Uhr auf dem Parkplatz des Klinikums. Neben
dem Haupteingang steht ein Leichenwagen mit laufendem Motor, wartet. Der Fahrer
starrt auf sein Handy. Der Sargraum ist leer.
Im zweiten Untergeschoss empfängt uns die ältere Krankenschwester
mit dem krausen Schopf. Vor 14 Uhr werde die heutige Sitzung auf keinen Fall
beendet sein, erklärt sie. Eine der beiden Kameras sei kaputt, deshalb würden
die Untersuchungen diesmal etwas länger dauern. So weiß S. zumindest Bescheid
und kann ihren Tag besser planen, bevor sie mich irgendwann am Nachmittag
wieder abholen kommt.
Eine Stunde später. Dr. T., die charmante albanische Assistenzärztin,
stellt sich vor. Bisher haben wir uns ja noch nicht kennengelernt, stellt sie
zur Begrüßung fest. Richtig, erwidere ich, aber wie war Ihr Name? Sie deutet
auf das Ausweiskärtchen, das von der Brusttasche ihres weißen Kittels baumelt. Ich
solle doch raten, wo sie herkomme. Osten?, mutmaße ich. Nein, nicht ganz, sagt
sie. Die Buchstabenkombination S und H in ihrem Nachnamen irritiert mich.
Mittelmeeranrainer?, taste ich mich vor. Ja, erwidert sie. Aber Ihr Name klingt
weder italienisch noch spanisch oder französisch, sage ich. Also Albanien. Genau,
sagt sie, übrigens völlig akzentfrei, alle Achtung! Aber wie kommen Sie nur darauf?
Wegen des Hs hinter dem S, sage ich.
Dann zieht sie violette Gummihandschuhe an und versucht,
mir zwei Zugänge zu legen: einen roten in den rechten Unterarm, einen blauen in
den linken. Die üblichen Probleme bei der Suche nach aufnahmefähigen Adern. Am
Ende klappt es in jedem Arm beim ersten Versuch. Respekt, sage ich, das
bekommen nicht viele hin. Die Albanerin schmunzelt.
Zwischendurch klingelt dreimal ihr Handy. Sie klemmt es
sich zwischen Schulter und Ohr und macht mit den Nadeln und Stöpseln und
Pflastern einfach weiter. Einmal erklärt sie ihrem Anrufer: Ich bin grad bei
der Niere.
Die Niere bin in diesem Fall ich, ein bisschen kümmerlich
dasitzend, mit zwei hochgekrempelten Hemdsärmeln und einem dünnen Schal um den
Hals. Dr. T. verabschiedet sich, bis später, und geht.
Erste Blutabnahme in einer Stunde. Setze mich in der
Zwischenzeit ins Wartezimmer, wo heute für einmal sehr viel Betrieb herrscht.
Patienten jeden Alters, wie gehabt, aus allen sozialen Schichten, sofern man
das auf einen ersten, flüchtigen Blick erkennen kann. (Man kann!) Alle blicken
mehr oder weniger trübselig drein. Einer zippelt an der Haut auf den
Nagelbetten seiner Finger, einer wischt und tappt auf seinem Handy herum –
dabei gibt es hier unten auf der Nuklearstation gar kein Netz, also spielt er
vermutlich irgendein Menschenfresser- oder Massaker-Spiel –, niemand greift zu
den ausliegenden Illustrierten oder liest eine Zeitung, in einem Buch. Selten
fällt ein Wort.
Auch die bekannten Gesichter, die in weißen Kitteln
herumlaufen, schweigen. Eine durchaus absurde Szenerie; man müsste eine Kamera
aufstellen und über Stunden hinweg filmen, was auf den Fluren so alles
passiert: Patienten, die kommen und wieder gehen; Personal, das von links nach
rechts durchs Bild läuft und meist kurze Zeit später auch wieder von rechts
nach links, einmal mit Mäppchen, einmal ohne, diverse Gestelle auf Rädern vor
sich her schiebend, einen Papierstapel unter den Arm geklemmt, mit losen
Zetteln in der Hand. Ein experimentelles Videoprojekt mit dem Titel „Nuclear Promenades“,
ohne Mudam- oder Casino-Auftrag.
Zudem ist ein Teil des Flurs hinter einem Sichtschutz aus
Plastikplanen verborgen, eine Art Baustelle auf einem der Gänge. Vorhin
erwähnte jemand, dass ein alter Scanner durch einen neuen ersetzt würde.
Soeben schlich ein Mann in Zivil heran und schlüpfte
hinter die undurchsichtige Wand wie hinter einen Theatervorhang. Später bewegte
sich dort etwas, ein stummer Schatten hinter einem Schleier aus Milch.
9:45. Noch zehn Minuten, dann kurve ich um zwei Ecken,
mache den linken Arm frei und lasse mir zum zweiten Mal Blut abzapfen. Manchmal
wird in den Warteräumen aber auch so laut und ausdauernd geplappert, dass nicht
an Lesen und schon gar nicht an Schreiben zu denken ist.
Noch fünf Minuten. Einer der Wartenden ist schlimm
erkältet, hustet, schnüffelt und schnäuzt sich ohne Unterlass. Noch vier
Minuten. Danach gehe ich nach oben, kurz an die frische kalte Luft und in der
Cafeteria einen Kaffee trinken, ein Stück Gebäck essen. Hatte noch keinen
Hunger, früh am Morgen.
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