Mittwoch, 8. März 2017

Eine Chronik (32)


Anruf des Bruders, der sonst so gut wie nie anruft. Er habe eine gute Nachricht für mich. So lerne ich die wahren Fähigkeiten des Sanddorn-Ursafts und der Goldenen Milch kennen. Seit Wochen, erklärt C., sei er täglich stundenlang im Internet unterwegs, um nach neuen Wegen zu gesunder Ernährung und Heilungsmöglichkeiten für meinen Krebs zu suchen. Er klingt glaubhaft. Ich rate ihm, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Er legt mir einen Österreicher namens Robert Franz ans Herz, mit dessen Ansichten und Theorien man sich auf Youtube vertraut machen könne.
Tage später befolge ich C.s Rat. Herr Franz redet so schnell und undeutlich, dass man ihn kaum verstehen kann. In einem der Filmchen trägt er lila Kleidung und hat sich auch seine lockige Haarpracht lila gefärbt. Das trägt nicht dazu bei, dass ich ihm und seinen Aussagen sonderlich viel Vertrauen schenke. Aber mein Bruder ist völlig überzeugt. Er und N., seine Frau, planen sogar, dem – angeblich – in oder bei München lebenden Mann in Kürze einen Besuch abzustatten. Ob ich nicht Lust hätte, sie zu begleiten.

Seit ein paar Tagen ist das morgendliche Übelkeitsgefühl weg. Nach dem zweiten Therapiezyklus hatte es etwa zwei Wochen lang pünktlich nach dem Aufwachen eingesetzt und mich eine Weile in den Tag hinein begleitet. Später kamen noch gelegentliche Halsschmerzen hinzu, ein dumpfer Druck auf die Speiseröhre, der mir Angst machte. Inzwischen bin ich in dieser Hinsicht wieder beschwerdefrei. Nur die Muskeln und Gelenke schmerzen. Aber das kommt von den Übungen im Fitnessstudio, das S. und ich immer noch regelmäßig besuchen. Jüngst hat der zweite Übungszyklus begonnen, Ralf hat ein etwas anspruchsvolleres Programm für uns zusammengestellt. Statt 30 drücke ich nun 40 Kilo, statt mit bewältige ich die Beinpresse nun ohne Unterstützung der Unterschenkel, statt zu rudern stärken wir Rücken, Nacken und Oberkörper in Zukunft mit Disziplinen, die sich euphemistisch „Butterfly“ und, schlimmer noch, „Butterfly reverse“ nennen.
S. hält gar nichts von diesem Schmetterlingsgehabe; ich genieße es, wenn der Brustkorb sich dehnt und die Schulterblätter zum Leben erweckt werden.  

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