Sonntag, 5. März 2017

Eine Chronik (29)

Zimmer 7 B auf Etage -2. Dasselbe wie beim ersten Mal. Außer, dass ich es diesmal mit einem weiteren Patienten teile. Als ich kurz nach neun eintrete, liegt er auf dem Bett, das ich beim ersten Mal benutzte, und grüßt freundlich. Über seinem Kopf, an einem zweimal geknickten Schwenkarm, schwebt der eingeschaltete Fernseher, der damals über meinem Kopf schwebte. Wir stellen uns einander nicht namentlich vor. Keiner spricht. Wortlos packe ich die Sachen aus meinem Köfferchen in den Schrank, lege die mitgebrachten Zeitungen und Bücher auf die rechte Seite des Tisches, der, wie beim letzten Mal, genau in der Mitte vor dem nicht zum Öffnen gedachten Fenster platziert ist.
Schwester Gabi, an die ich mich noch gut erinnern kann, kommt mit dem Formular, auf dem ich meine Speisewünsche für die nächsten drei Tage ankreuzen soll: paniertes Schweineschnitzel oder Hacksteak, heiße Schokolade oder Gemüsebrühe.
Für die Tüte mit dem mitgebrachten Obst gibt es leider keinen Kühlschrank. In wenigen Stunden wird es auf Zimmertemperatur sein und nicht mehr besonders gut schmecken. Aber immer noch besser als Zwieback mit eingelegten Gurkenscheibchen.
Als das Telefon meines Zimmernachbarn klingelt, erfahre ich zumindest seinen Vornamen. Er hebt ab und meldet sich mit Carlo. Das erscheint mir seltsam, aber so habe ich es verstanden.
Wann habe ich zum letzten Mal mit einem mir völlig unbekannten Mann im selben Zimmer geschlafen? (So ähnlich formuliert es David Wagner im 82. Kapitel seiner Leberchronik, in der ich immer wieder lese, kreuz und quer, hin und her blätternd.) Ich erinnere mich an eine Bootsfahrt auf dem Mekong, vor mehr als einem Dutzend Jahren, von Nordthailand in die ehemalige laotische Königsstadt Luang Prabang. Die Tour dauerte drei endlos lange Tage. Die erste Nacht verbrachte ich mit Monsieur Bouvier, einem wenig gesprächigen Franzosen, im winzigen, stromlosen Doppelzimmer einer Klitsche in dem Dörfchen Pak Beng. Auch Monsieur Bouvier schnarchte. Ich lag stundenlang wach und fragte mich, ob es sich bei meinem Mitschläfer möglicherweise um den Reiseschriftsteller Nicolas Bouvier handelte. Aber zu diesem Zeitpunkt war der bekannte Schweizer bereits seit mehreren Jahren tot.    

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