Samstag, 21. Mai 2016

Eine Chronik (6)

Statt 60 diesmal 90 g Lanreotid. Beim nächsten Mal werden es 120 sein. Und bei dieser Dosis soll es dann erst einmal bleiben, in den folgenden Monaten.
Erneut kommt der Wirkstoff aus dem Kühlschrank. Muss die Spritze ein Viertelstündchen lang umklammern und in der eigenen Hand aufwärmen. (Könnte das eigentlich auch jemand anderes für mich tun? Oder muss jeder Patient sein Medikament notwendigerweise selbst auf seine eigene Körpertemperatur bringen?)
Doch was injizieren sie einem da überhaupt in den Hüftspeck? Hormone, sagt Dr. K. – Doping also? Zum Glück beteilige ich mich an Fußballspielen inzwischen nur noch sitzend, vom Sofa aus. Oder auf der Tribüne. Und die Kontrolleure mit ihren Medizinköfferchen voller Urinbecherchen und Blutflakons klingeln auch nicht so häufig an unserer Haustür.
Apropos Sport: Laufen, Spazieren, Springen, Schwimmen – das sei, neben der monatlichen Spritze, die beste Krebstherapie überhaupt, sagt Dr. K. Die könne jeder selbst durchführen, das sei praktisch, zudem koste es kein Geld, nur ein wenig Mühe und Selbstdisziplin.
Also los, raus in die Frühlingsfrische. Andererseits kann man auch nicht ständig unterwegs sein. Nach der zweiten Spritze etwa waren S. und ich im Kino, wo die Sonne durch dunkle Ruhrgebietswolken strahlte: „Junges Licht“, nach einem Roman von Ralf Rothmann – einer der wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren, meiner Meinung nach. Lesen Sie zur Einstimmung einfach mal einige seiner Erzählungen und Kurzgeschichten.
Ja, Schreiben und Lesen. Gut, ich gebe es zu, ich habe in letzter Zeit ein paar Bücher im Internet bestellt, statt zum Buchhändler meines Vertrauens zu marschieren. Wer tut das nicht gelegentlich? Ein paar Neuheiten aus Südamerika, von Selva Almada aus Argentinien zum Beispiel, von der Mexikanerin Valeria Luiselli. Aber womit, Himmelherrgott, habe ich es verdient, vom Online-Versandhändler Romane mit Titeln wie „Warme Milch und Kummerkekse“, „Die Rosenschwestern“ oder „Der Duft von Erdbeersaft“ empfohlen zu bekommen? 

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