Montag, 16. Mai 2016

Eine Chronik (5)

Wir waren verreist, mein Tumor und ich. Ans Wasser, ans Meer, mit Ibuflam 600 und Pantoprazol im leichten Gepäck, mit dem Sommer voraus, dem Winterwetter des späten April im beschlagenen Rückspiegel.  
Am baskischen Muschelstrand versuchten wir, uns aus den Füßen zu gehen; auch mal, voreinander wegzulaufen, abzuhauen, durch den frischen, noch kühlen Sand, die kalte, anfangs nahezu eisige Gischt. Was auch gelang, für ein paar Stunden, manchmal sogar halbtagsweise.
Zur sonstigen Ablenkung lauschten wir im Hafen dem Quietschen der Möwen. In den Bars dem Geschnatter der Gäste. Quer durch die Stadt waren Autos mit französischen Kennzeichen, aber ohne Fahrer unterwegs – sie hingen am Haken der herzlosesten Abschleppwagen, die man sich vorstellen kann. 
Einmal sogar mischten wir uns unter fast zwanzigtausend. Zwei zu eins endete das Spiel. Ein Sieg der Heimmannschaft, bei dem es, wie tags darauf selbst in internationalen Medien zu lesen war, nicht mit rechten Dingen zugegangen sein soll. Aber wo tut es das schon, mit rechten Dingen zugehen? Für die Verlierer, die angeblich geschoben hatten, bedeutete die Niederlage den sicheren Abstieg. Sowie für den einen oder anderen wohl zudem den Verlust des Arbeitsplatzes. Zu welchem Preis? Nun, Beweise liegen bislang nicht vor. Nichts Schlüssiges, nichts Definitives, nichts Handfestes.
Gut, dass wenigstens auf Freunde Verlass war. Wir kurvten umher, mit spanischem Kennzeichen, den Berg hinauf und später wieder hinunter. Auf dem Gipfel warteten bereits die Walfisch- und Feindschiffbeobachter. Bis zur Unsichtbarkeit camoufliert hockten sie auf ihrem Aussichtsfelsen und blickten weit über den Atlantik. Im Westen fast bis nach Bilbao, im Nordosten hoch Richtung Gironde-Mündung, locker über die Sandzungen hinweg, die keck aufs offene Meer hinaus schnalzten.
Zu melden bekamen die perfekt getarnten Wachleute nichts. Auch wir sahen nur Wasser, Wellen, Wolken und zwei, drei Segelboote, die von fern heiklen Papierschiffchen glichen.
Zu spüren war auch nichts. Außer dem Atem, der sich nur langsam beruhigte. Und dem Glück, in der Sonne zu sitzen, an einer Handvoll wilder Minze zu riechen.
Wieder zuhause, muss ich mich um den verrückt spielenden Laptop kümmern, mich bei einigen Leuten melden, die seit längerem schon auf ein Lebenszeichen warten.
In vier Tagen: die zweite Spritze.           

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