Mittwoch, 8. Juni 2016

Eine Chronik (10)

Das große Wasser, sagt Dr. S., der Hausarzt. Täglich 2,5 Liter, rät die deutsche Gesellschaft für Ernährung. Spült die Nieren, schwemmt den Dreck aus dem Körper. – Und wenn man keinen Durst hat? – Dann muss man sich zum Trinken zwingen. – Und wie geht das? – Indem man sich Rituale zurechtlegt, überall in der Wohnung volle Flaschen verteilt, sich banales Leitungswasser mit einer Zitronenscheibe attraktiver macht. Vor jeder Mahlzeit zwei Gläser, jeweils vor und nach dem Zähneputzen und Händewaschen ein Glas, häufiger Kopfsprünge vom Drei-Meter-Brett.
Gut, ich werde mir Mühe geben, versprochen. Ende der Trinkergeschichte.

Der kleine Notizblock auf dem Nachttisch, daneben der Bleistift. Manche Idee kommt im Schlaf, doch kein Handy kommt ins entsprechende Zimmer. Eher lerne ich die Sätze und dazugehörenden Fetzen im Dämmerzustand auswendig und schreibe sie noch vor dem Frühstück nieder, eher ritze ich sie mir stichwortartig in den Unterarm, eher male ich sie mit S.’ Kajal- oder ihrem Lippenstift auf den Spiegel im Bad.

Kleine Liste der in den letzten Wochen gesammelten Ausdrücke und Redewendungen (Auswahl): Gewitterziegen. Sackgesichter und Sackratten. Holla die Waldfee. Oschi. Mit Menschenhaar kann man Tiere vertreiben, Wildschweine zum Beispiel. Oh leck, ist schon neun Uhr! Das kann ja heiter werden. Wenn man bedenkt, was diese Frau einmal für ein Besen war. Aber Hauptsache, das dicke Arschloch ist weg. Und nun: Geh aufs Klo, Blödmann!
So entwickeln sich einzelne Wörter zu Geschichten, manchmal. Und sobald es Geschichten gibt, behauptet Valeria Luiselli in der Geschichte ihrer Zähne, wird es Leute geben, die sie hören wollen.
Verstanden? – Na, da bin ich mir nicht so sicher.  

Schade, aber sämtliche Reisen, die im Frühjahr geplant waren, mussten aus gesundheitlichen Gründen, also krankheitshalber, annulliert werden: der erneute Sprung nach Georgien und Armenien, die Pressefahrt nach Valencia, die mehrwöchige Tour mit Oybek durch Usbekistan. Hatte mir schon ausgemalt, wie viele Wasserflaschen wir auf der Maulbeer-Route mitschleppen müssten, im Mai oder Juni, wenn in Vorderasien bereits Temperaturen um die 40 Grad Celsius herrschen.
Also, lieber Oybek, nicht verzweifeln, bitte. Eines Tages werde ich die Sache mit dem Wasser in den Griff bekommen. Dann sehen wir uns wieder, versprochen. 

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